Samstag, 20. Mai 2006
Das mögen sie nicht
Der Dreck in diesem Raum, dachte er, sind nicht die feinen Staubpartikel, die in den gesiebten Sonnenstrahlen tänzeln, auch sind es nicht die kaum näher definierbaren Flecken auf dem Boden und an den Wänden. Die Leute sind es... Nicht wegen ihrer Verbrechen. Wahrscheinlich waren eben jene Taten die einzigen Ausnahmen in ihren jämmerlichen Leben, wegen derer ihnen noch ein letzter Hauch an Würde und Respekt zustünde. Nein, dachte er, so nicht. Ich nicht. Ich werde nicht vergessen wer ich bin. Ganz gleich wie sie es auch anstellen wollen, mich brechen sie nicht.

Die Stille wurde durch herannahende Schritte unterbrochen, die vor der Zellentür Halt machten. Beim Aufsperren machte die Tür ein lautes Geräusch, auf das keiner bis auf ihn reagierte. Drei maskierte Männer in Tarnanzügen, von denen zwei einen weiteren in ziviler Kleidung aufrecht hielten. Seine Beine waren schlapp und hingen willenlos aus seinem Becken über den Boden herab. Auf einen stummen Befehl vom Schlüsselträger wurde er von seinen Trägern in die Zelle geworfen, die Tür hinter ihm abgesperrt und wieder das dumpfe Hallen der Schritte, die diesmal jedoch immer leiser wurden, bis sie ganz verstummten. Der neue blieb regungslos dort liegen, wo sie ihn hingeworfen haben und alle taten es ihm nach. Keiner unternahm irgendwas. Sie alle starrten ihren Lieblingspunkt an, waren ganz nah und doch so weit weg.

Unmöglich, brüllte es in seinem Kopf, als er aufstand, sich dem regungslosen Körper näherte, ihn umdrehte und vor ekel beinahe erbrach. Diese Schweine! Wie konnten sie nur? Nur ein leises röcheln verriet, dass in dem schlaffen Körper noch ein wenig Leben versteckt war. Das entstellte Gesicht hätte nicht einmal die eigene Mutter erkennen können. Haare klebten im Blut, das sich über das deformierte Gesicht wie ein Schleier legte, der schon bald die Aufmerksamkeit sämtlicher Fliegen im Umkreis auf sich zog. Vorsichtig zog er ihm die Strähnen aus dem Gesicht, um zu verhindern, dass sie dort festklebten. Es gab kein Wasser also knöpfte er sich hastig das Hemd auf und wedelte damit über das Gesicht, was die Fliegen erfolgreich daran hinderte, sich ein Vorteil aus der Hilflosigkeit des jungen Unbekannten zu verschaffen. Die anderen Insassen rührten sich nicht. Nur einer spuckte auf den Boden vor sich und wechselte die Blickrichtung zum hellblau erleuchteten Himmel hinter dem Gitter. Ein kleiner bunter Vogel landete kurz auf dem Sims, hüpfte piepsend ein paar mal hin und her und flog wieder weg.

Nach einer Weile war das Blut trocken geworden, sodass ein Großteil der Fliegen das Interesse an dieser Zelle verlor und wieder davon flog. Er hörte auf zu wedeln und schaute auf das Gesicht, dessen ehemals roter Schleier eine dunkel braune und teils schwarze Kruste geworden ist. Schweiß perllte von seiner Stirn ab und sein Puls ging etwas schneller doch außer Atem war er nicht.

„Du bist der nächste“, sagte einer als es dunkel geworden war. Es war der Mann, der den kleinen bunten Vogel sah.
„Wie kommst du darauf?“
„Hast du ihnen in die Augen geschaut, als sie da waren?“
„Ja, und?“
„Das mögen sie nicht.“

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Freitag, 19. Mai 2006
Ups!
Der Satz "Sie haben Lungenkrebs" brannte sich wie ein Stück glühender Kohle durch sein Gehirn, während sich die Lippenbewegungen des Arztes stumm vor ihm abspielten.
Er dachte daran, dass er erst kürzlich Vater geworden sei, dass er kurz vor einer Beförderung stehe, dass der Sex mit seiner Frau wunderschön sei, dass er sich den Autokauf vor zwei Wochen hätte sparen können, dass er noch keine Lebensversicherung abgeschlossen habe aber seine Eltern, Gott sei Dank, noch am leben seien, dass er nur seinem engsten Familienkreis Bescheid sagen werde, dass er die Karte für das Pearl Jam Konzert in Berlin bei Ebay versteigern werde, um jede freie Minute mit seiner Familie verbringen zu können, dass er noch nie in Schweden gewesen sei, dass er diese Routineuntersuchung erst gar nicht machen lassen wollte, dass er noch nicht einmal dreißig sei und schon seit zehn Jahren Nichtraucher.
Beide wurden durch die Arztgehilfin unterbrochen, die das Sprechzimmer betrat. Stille. Sichtlich errötet sagte sie "Ups!", bemerkte, dass sie dem Arzt vorhin die falsche Akte gegeben habe, korrigierte diesen Fehler und verließ mit beschämten Blick nach unten das Zimmer. Wieder Stille. Der Arzt wollte zu einer Erklärung ansetzen, als er ihn etwas irritiert unterbrach "Ich brauche jetzt eine Zigarette", sagte er und ließ den Mediziner stumm hinter sich.

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Penisprothese vs. Herztransplantation
Die Hintergründe im Ärztestreik - meines Erachtens sehr sinnvoll - werfen einen dunklen Schatten über die "Zunft".

Man wollte sicherstellen, dass eine Notfallbehandlung den Patienten erhalten bleibe. Was aber von manchen Chef- und Oberärzten als Notfall verstanden wird, ist durch die Fernsehsendung Monitor(ARD) etwas genauer unter die Lupe genommen worden.

Erschreckend aber kaum überraschend, dass beispielsweise in Homburg Herztransplantationen zugunsten diverser Schönheitsoperationen wie der Eneuerung einer Penisprothese abgesagt wurden. Eine Stellungnahme der Uniklinik bleibt aus.

Allgemein sind während der Streiktage, die operativen Eingriffe an einigen Kliniken, die im Auftrag von privatversicherten Patienten durchgeführt wurden, deutlich gestiegen.

Bitte bleiben Sie gesund!

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Donnerstag, 18. Mai 2006
Gerechte Geduld
Sie kamen nur langsam voran. Der seit Tagen anhaltende Regen hatte den Waldboden so durchweicht, dass sie froh waren Stiefel zu tragen. Langsam wurde es heller und eine Lichtung ging vor ihnen auf. Der erste Blick machte aus dieser Lichtung nichts besonderes. Einer von vielen baumlosen Flecken inmitten eines Waldes hätte man gesagt, wäre da nicht die ganz in schwarz gekleidete alte Frau, deren Atem so schwer ging, dass es ein Wunder gewesen war, dass sie auf diesem Terrain ein derartiges Tempo hatte vorgeben können.
Ganz im Gegenteil, sie schien ihre Kräfte für diesen Moment aufgespart zu haben. Am Rande der Lichtung angelangt, blickte sie ihre Begleiter kurz an und beschleunigte ihren Gang. Sie führte sie genau in die Mitte der Lichtung, wo das Gras nicht ganz so dicht und weniger kräftig im Wuchs wie am Rande der Lichtung war. Erschöpft setzte sie sich auf den Feldstuhl, den ihr einer der Männer anbot und schaute stumm ihrem Treiben zu. Zuerst umrundeten sie die Stelle mit hölzernen Stöcken, die sie nicht allzu tief in den Boden rammten. Gerade so, dass sie im Boden blieben und anschließend das gelbe Band halten konnten, das alle verband. Als sie zu graben anfingen, versuchte sie mehrmals wegzuschauen, bis sie schließlich aufgab und ihr Blick wieder nichtssagend auf den Männern ruhte.
Keiner sprach ein Wort. Nur der Regen sang sein Trauerlied, während die Männer maschinengleich im Takt gruben. Nachdem sie einen halben Meter tief gegraben hatten, verlangsamten sie ihr tun, stachen ganz vorsichtig in die feuchte Erde, so als würden sie Angst haben mit zuviel Wucht etwas wertvolles zerbrechen zu können.
Sie schloss ihre Augen. Ihr Gesicht verkrampfte sich und der Regen darauf hätte von Tränen nicht unterschieden werden können. Nach einiger Zeit stand sie auf, ging ein paar Schritte in die Richtung, aus der sie gekommen waren und brach schließlich geräuschloß auf dem weichen Waldboden zusammen.
Die Männer, die vorsichtig ein Skellett nach dem anderen freigruben und auf Plastikfolien legten, bemerkten sie nicht. Erst als es langsam dunkel wurde und ihre Arbeit getan war, entdeckten sie ihre verkrampfte Leiche auf dem Waldboden.

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